Die Zeit 25.12.1947



Ernst Jünger und die Problematik der Gegenwart

Wir entlehnen diesen Titel einer 1943 erschienenen Schrift Erich Brocks. Er hat seine brennende Aktualität keineswegs verloren. Wenn nämlich Erich Brock in seinem neuerdings bei Max Niehans erschienenen Buch "Das Weltbild Ernst Jüngers" dieser keineswegs eindeutigen Gestalt eine eingehendere, philosophisch reich belegte Untersuchung widmet, so deshalb, weil er in dessen Werk eine folgerichtige Ausprägung der jüngsten Entwicklung des abendländischen Denkens erkennt Ernst Jüngers unverlierbare Leistung liegt darin, daß er nicht nur ein sehr klarer Spiegel der Problematik der Gegenwart ist, sondern sich in einem Zusammenspiel von Intuition und Intelligenz und der Inbrunst der großen Rellgiösen um eine Lösung bemüht hat. Erich Brocks gedankliche Nachzeichnung der Jüngerschen Schau, trägt deren Ernst Rechnung, und seine schließliche Kritik ist von wesentlichstem Wert, weil sie ein Weltbild, dessen politische Seite weitgehend der Faschismus ist, von seiner tiefsten, nicht der flachsten leicht zu denunzierenden Prägung her anpackt.

Jüngers Weltbild formte sich im Erlebnis des ersten Weltkrieges. Das zersplitterte und schmerzlich richtungslose Lebensgefühl der Vorkriegszeit schloß sich, nachdem in den ersten zwei Kriegsjahren die Substanzlosigkeit der verkündeten Ideologien offenbar geworden, dem Soldaten zu einem einfach handelnden, warumlosen, erfüllten Dasein. Der einzelne fand Halt und Bestätigung in der Meisterung der täglichen Aufgabe. Aus der Abwesenheit ideeller und moralischer Fragestellungen ergab sich von selbst die Unschuld und Unbefangenheit, welche dem Ansturm des Elementaren standhält. Die Gegenwart des Elementaren aber, der Gefahr, erfüllte eine tiefe Sehnsucht des heutigen Menschen, der allzulange unter seiner Isolierung im Geiste gelitten hat.

Der Schmerz des heutigen Bewußtseins - ein Leiden das Jünger als sinnlose Schwächung erscheint - beruht ja auf einer jahrtausendealten Ueberspannung des Geistes, ist die Rache der verratenen und verlorenen Natur. Seit dem Zerfall der mittelalterlichen Hierarchie, in der Oben und Unten, Mittelpunkt und Abschluß gewährleistet war, ist die Zerstörungsarbeit des Geistes erschreckend deutlich geworden. Gewiß erschien die Lösung von Halt und Autorität zunächst als Befreiung; unendliche Möglichkeiten taten sich auf schöpferische Kräfte wurden frei. Zugleich aber begann sich , die anfangs so reich erscheinende Unendlichkeit aller festen Inhalte zu entleeren. In Hegel erreichte der Zersetzungsprozeß bereits einen Höhepunkt, in einem Denksystem, das alles zu allem in Beziehung setzt, jeden Gegensatz relativiert, nichts absolut und gestalthaft in sich ruhen läßt und das in seinem Fortgang im Rationalen bleiben muß, niemals die zwischen Geist und Sein aufgerissene Kluft zu überspringen vermag. Das deart inaugurierte bürgerliche Zeitalter, verhandelt, schließt Kompromisse, weiß sich in alles einzufühlen, und entbehrt jeden eigenen Lebensstils und, bei allem Fortschrittsrausch, jeder ideellen Gerichtetheit. Der einzelne Mensch, dem die Möglichkeit, einfach und natürlich zu sein, zusehends verloren geht, erfährt gleichzeitig eine wachsende Belastung seines Bewußtseins. Ihm liegt es heute ob, die Frage nach dem Absoluten zu stellen, ihm, die Unhaltbarkeit jeglicher Lösung allzugleich zu erkennen, ihm allein die Verpflichtung, etwas zu sein, trotz der Leere seines Himmels Symbole, Substanz, Originalität hervorzuzaubern. So "trifft man heute den Menschen in den alten Ordnungen nicht anders als leidend an.

In der erlebten Erleichterung und Befreiung durch die Selbstverständlichkeit des kriegerischen Daseins schien sich Jünger ein Weg aufzutun. Sein ganzen Wollen und Glauben ist in der Folge auf die Festhaltung und Verabsolutierung dieses Zustandes gerichtet. Von der Romantik, die ebenfalls aus der Erkenntnis des Verlustes an Natur entsprang, unterscheidet sich Jüngers Bestrebung wesentlich. Der Romantik nämlich gelang keine Durchbrechung des bürgerlichen Systems; sie blieb Spiegelbild, Reaktion, und erschöpfte sich weitgehend in einem, fruchtlosen Sich-zurück-sehnen und Ungeschehen-machen-wollen.

Demgegenüber weiß Jünger, daß es ein Zurück nicht gibt. Ihm gilt somit, nicht der Gegenspieler der Zeit zu sein, sondern ihr Vabanque-Spieler. Der Erfolg eines solchen Unterfangens ist dadurch gesichert, daß - nach Jüngers Ueberzeugung zur Zeit der Niederschrift des "Arbeiter" (1932) - das Fundament der neuen Welt, bereits gelegt ist und für den Sehenden durch die rasch zerfallende alte Ordnung hindurchschimmert.

Die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte liefert einen Schlüssel zum neuen Reich. Man hat von ihr die Erfüllung bestimmter Zwecke, die Vereinfachung bestimmter Fragen erwartet - man glaubte beispielsweise, daß der Mensch durch die von ihr geschaffenen Erleichterungen Muße und Kraft gewinnen würde, sich dem - von ihr gesonderten - Bereich der Kultur zu widmen. Aber es zeigt sich, daß die Technik nichts wirklich löst noch vereinfacht; auf die bürgerliche Fragestellung antwortet sie nicht irgendwie sinnvoll. Für uns ist sie mechanisch, selbstüberschreitend und in ihrer Auswirkung zerstörerisch.

Doch der bürgerlich-dialektische Prozeß ist im Begriff, abzulaufen; der mystische Nullpunkt ist nahe. Jenseits liegt das neue Reich, in dem die Technik organisch wird, weil es außerhalb ihrer nichts gibt. «Arbeit» ist dann nicht mehr eine Tätigkeit, die durch Ihren jeweiligen Zweck bestimmt und beschränkt wird, sondern sie ist umfassend und hat kultischen Rang. Innerhalb Ihrer ist der einzelne nicht mehr allein, nicht mehr mit einem von Zweifel verzehrten Streben nach dem unzugänglichen Absoluten belastet, er ist nicht mehr Individuum, sondern Repräsentant eines Typus, der "Gestalt" des Arbeiters und die Arbeit ist der ihm gemäße Lebensstil. Seine menschliche Verpflichtung ist erfüllt, indem er hingegeben seiner Aufgabe obliegt. Ihm werden Herrschaft und Dienst, Spiel und Arbeit eins. Es ist dabei nicht einmal nötig, daß er sich des Ganzen dauernd bewußt bleibt: keine absolute Wahrheit wird angestrebt, sondern das Gesunde und Gute; im Interesse des Lebens muß vieles vergessen werden.

Das "Ganze", in dessen Namen die erleichternde und erneuernde Umwandlung geschieht, wird von Jünger nirgends definiert. Das ist konsequent, denn jede Definition würde es der diskursiven Annäherung, der Verhandlung, dem Kompromiß und somit der Totgeburt aussetzen. Die Menschheit teilt sich heute in Zukunftsträchtige, und in Uneingeweihte, di e niemand einweihen kann. Denn selbst die Sprache des Arbeiters ist völlig andere. Das tausendjährige Reich setzt, sich in "totaler Revolution" übergangs- und kompromißlos von allem Gestrigen ab.

Die noch nicht erhörte Schwierigkeit der Gegenwart besteht allerdings in der Bewerkstelligung des Ueberganges. Wenn frühere Zeitalter Umwälzungen erfuhren, schlüpften die Menschen naiv und blind in das neue Gehäuse, das ihnen dann von innen her als absolut erschien. Diese Möglichkeit haben wir, die wir im Relativen und von überallher Verwundbaren stehen, nicht. So muß der Uebergang mit willensmäßig abgeblendetem Bewußtsein geschehen, die vorwärts liegende Zerstörung vorbehaltlos angenommen werden. Die Bindung an Kulturgüter und Traditionen muß fallen. Der Bildersturm mag uns noch so peinlich sein - die Liebe zu veralteten Dingen muß überwunden werden. An den Geist wird das Ansinnen gestellt, sein eigentliches Prinzip, die Freiheit, aufzugeben - seinen Ver­rat an der Natur mit Verrat an sich selbst zu sühnen. Das ist nicht Nihilismus nihilistisch ist für Jünger der Rationalismus, der zur Zerstörung des Seins geführt hat, nicht aber seine vorläufig negative Haltung, die als Opfer, einem eisern positiven Ziel entgegen, verstanden sein will. Die Analogie zu allen Religionssystemen, ja der eigentlich religiöse Charakter dieser gottlosen Theologie ist ohne weiteres ersichtlich.

Als sich Jüngers Prophezeiung durch Nicht-Eintreten widerlegt, ja die nationalsozialistische Realität ihn aufs äußerste enttäuscht, läßt Jünger die im "Arbeiter" aufgebaute Eschatologie kommentarlos fallen. Die Abhandlung "Ueber den Schmerz" (1934) hält am Opfergedanken fest; nun aber ist das kommende Reich auch Jüngers Schau entrückt, und das Opfer geschieht ins Blinde hinein, in dem Glauben, Gnade lasse sich durch Schmerz magisch erzwingen.

Erst in den "Marmorklippen" (1939) werden wir Zeugen einer eigentlichen - abermals kommentarlosen - Umwertung der Dinge. Jünger findet sich plötzlich auf der Seite eines etwas müden und degenerierten Humanismus und Kulturkonservatismus. Die ehemals verspotteten "musealen Triebe" zeigen sich noch deutlicher in "Gärten und Straßen", 1942 - inmitten des zweiten Weltkrieges.

Als Philosoph läßt uns Jünger ohne Antwort auf die so wesentlich erschauten, so brennend herausgestellten Grundfragen der Gegenwart. Erich Brock zeigt mit ebensoviel Klarheit wie Behutsamkeit die Ursachen des Versagens auf. Seine Antwort, ehrfurchtvoll und tastend, berührt Letztes.

"Wer sich selbst erniedrigt, wird nicht erhöht werden". - Das Opfer war nicht verlangt, es wurde von der göttlichen Kraft nicht angenommen. Sie läßt sich nicht erpressen. Das nicht verwendete Opfer blieb liegen, wurde dämonisch und hat sich zu einem neuen Rück- und Gegenschlagschlag des eigenmächtig mißbrauchten Geistes entwickelt.

Das Absolute bleibt jenseits. Unsere Aufgabe ist es, einen unerschütterlichen Glauben an das niemals Zugängliche zu bewahren. In diesem Glauben ist ehrliches Denken bis zuletzt geboten - und ehrliches Denken auferlegt uns ein stets erneuertes Durchleben der ernsten Alternative von Ja und Nein.

                                                                                                                                          mz

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