Tägliche Rundschau 25.06.1946


Wolfgang Wehyrauch
Von der "germanischen Unschuld" Ernst Jüngers

Neuerdings erheben sich hie und da Stimmen, die erstaunlicherweise das Kunststück fertig bringen, für den Erfinder des Begriffs der "totalen Mobilmachung", den Dichter Ernst Jünger, eine Lanze zu brechen. Stimmen, die, bestochen vom Stil und Rang der Feder Jüngers und unter Hinweis auf seine angebliche Distanzierung zu Hitler, dafür plädieren, von seiner "Wandlung" Wesentlichen für die demokratische Kulturerneuerung zu erhoffen. Diese Leute scheinen vergessen zu haben, daß die Schriften Ernst Jüngers die Inkarnation des Kriegerischen schlechthin sind und daß Jünger es war, der den Krieger als Existenzform erfand. Angesichts dieser Grundthesen der Jüngerschen Schriften verblaßt jener mysteriöse Traktat des Dichters Über den "Frieden", der gegenwärtig in Kreisen reaktionärer Stilakrobaten soviel Aufhebens von sich macht; denn auch dort, wo ein Mann wie Jünger vom Frieden redet, kann es sich nur um eine Variation der von ihm glorifizierten "Stahlgewitter" handeln. Der Dichter Wolfgang Weyrauch charakterisiert in nachfolgendem Artikel die "germanische Unschuld" Ernst Jüngers und seinen unheilvollen Einfluß auf die Jugend als das, was sie in Wahrheit sind: Verherrlichungen der Gewalt und Barbarei.


Schriftsteller und Dichter haben, wann und wo auch immer, eine Verantwortung, die die des Pädagogen und Arztes noch übertrifft. Denn in sie sind ja, mehr als in jeden anderen, die ewigen Geheimnisse geweht. Ihnen liegt es ob, diese Geheimnisse zu entziffern und denen zu vermitteln, die ihrer nicht mächtig sind.Irren sie sich auch nur in einem einzigen Buchstaben oder entschlüsseln sie die Geheimnisse nicht bis zur Selbstaufgabe, machen sie sich schuldig. Sie können ihre Schuld nur wieder gutmachen, indem sie und gehe es auch um ihr Leben, Atemzug um Atemzug, Satz für Satz vom Humanen singen.

Je bedeutender jemand ist, desto legitimer ist seine Verantwortung. Seine Verantwortung wird zum Beispiel, zum Vorbild. Einerseits. Und andererseits wird sie zur existentiellen Entscheidung. Der große Schriftsteller und Dichter sitzt am Hebel. Er lenkt seine Nachfahren, den Nachwuchs. Und er wendet das Los der Männer und Frauen seines Volkes, wenn nicht auch anderer Völker. Er leitet sie dahin oder dorthin, zum Glück oder zum Unglück, zum Schlechten oder zum Guten, zur Demut oder zur Hybris, zur Gottähnlichkeit oder, zur Teuflischkeit. Er hat Macht und Ausschließlichkeit eines Staatenlenkers, selbst eines Propheten.

Lebt er gar in Jahrzehnten, die durch sich selbst umstülpend sind, einschneidend und stellvertreterisch für Jahrhunderte, wie es die unseren sind, vertausendfacht sich sein Anteil an der Bewältigung der Zustände und Handlungen. In solchen Zeiten verwirren sich alle Gedanken, alle Gefühle. Dann ist er ein Richter, ein Gesetzemacher. Und zumal dann, wenn, wie es bei uns der Fall war, die eitgentlichen Gesetzgeber und Richter versagen. In jenen Zeiten, wie es die unseren waren, hätten die großen Dichter und Schriftsteller die Zeiten wenden müssen.

Wer aber schrieb: "Die Zahl der Leidenden (epigrammatischer Anhang zu "Blättern und Steinen"), "Der beste Fechtmeister ist der Gang auf Leben und Tod (ebenda), "Die Sklaverei läßt sich bedeutend steigern, indem man ihr den Anschein der Freiheit gewährt" (ebenda), "in einem Vorgang wie dem der Sommeschlacht war der Angriff doch eine Erholung, ein geselliger Akt" (Das abenteuerliche Herz), "Es gibt eine Art von erlauchter Heiterkeit, die den Kämpfer, stärker als je die Liebe, im Angesicht des Todes überrascht" (ebenda) wer diese unverfrorenen und engstirnigen und verräterischen Satzgespenster geschrieben hat, der hat gefehlt.

Ernst Jünger hat gefehlt. Denn Ernst Jünger hat sie geschrieben. Er hat noch mehr geschrieben. Er hat noch eine Formel geschrieben, die keine Formel blieb, sondern der Vorreiter der Realität wurde, die 1939 erschien. Er schrieb die Formel von der "tota1en Mobilmachung". Er hat diese Formel im Vorwort zu einem Band "Krieg und Krieger", den er herausgab, wie folgt unterstützt: "Daher beschäftigt sich dieses Buch nicht mehr mit der Frage, ob Rüstung notwendig ist oder nicht, sondern mit dem Raum, aus dem sich die neue Rüstung zu entfalten hat." Ferner schrieb er im Essay "Die totale Mobilmachung": "Um Energien von solchen Ausmaßen zu entfalten, genügt es nicht mehr, den Schwertarm, zu rüsten, es ist eine Rüstung bis ins innerste Mark, bis in den feinsten Lebensnerv erforderlich. Ehre den Kriegern, für welche Sache sie immer gefochten haben. Kein anderes Zei­chen dieser Zeit ist mehr zu begrüßen, als dass die deutsche Jugend sich der symbolischen Erscheinung des Frontsoldaten als ihrem Vorbild zuzuwenden beginnt. Hier wird ihr unter den flüchtigen Gebilden, die uns umringen, und hinter den lackierten Fassaden der Zivilisation eine Größe begegnen, die mythische Maße besitzt."

Was wäre Jünger für ein Großer, wenn er nicht geschrieben hätte: "Hätte man einen von diesen, (von der deutschen Jugend des Jahres 1914, die so glühend, so begeistert, so begierig nach dem Tod war, wie es in unserer Geschichte kaum eine andere Jugend gegeben hat) gefragt, wofür er zu Felde zöge, so hätte man gewiß auf eine wenig klare Antwort rechnen können man hätte vielleicht die Antwort "für Deutschland" vernommen, jenes Wort, mit dem die Freiwilligenregimenter zum Angriff schritten. Und doch reichte diese dumpfe Glut zu einer Anstrengung aus, die die Völker bis ins Mark erzittern ließ. Wie erst, wenn sie bereits Richtung, Bewußtsein, Gestalt besessen hätte?" (Totale Mobilmachung)

Jedoch er hatte geschrieben. Deutschland, das nicht groß an bewegenden Prosaschreibern ist, anders, als es sich bei der Lyrik verhält (warum das so ist, gehört nicht hierher), hätte Könner wie Jünger sehr nötig. Männer, die vordergründig . und hintergründig zugleich schreiben können, die real und symbolisch in einem schreiben können, die sich selbst so zur Exaktheit, und zwar zur leuchtenden Exaktheit, geschult haben, daß sie eine imaginäre Schule zeugen könnten. Aber das ist es ja gerade. Luzifer ist ein Engel doch er ist ein Engel, der abfiel und also fiel.

Jünger schreibt luziferisch. Kaum ein anderer schreibt glanzvoll. Aber dieser Glanz ist fahl, Verwesung sch1ägt aus ihm heraus. Tod, Tod und die Verwandtschaft des Verfassers mit dem Tod, ja seine Identifizierung mit ihm. Aber Jünger hat sich nicht mit dem "Tod als Freund" des Franzosen Georges Barbarin identifiziert, sondern mit dem Tod als Mörder, als mordende Maschine. Mag sein, daß Jünger an den Krieg fixiert ist. Er spricht von kaum etwas anderem so oft als von Krieg, Schmerz und Entsetzen. Es geht uns nichts an. Seine privaten Umstände gehen uns nichts an.

Es geht uns auch nichts an, daß er - privat - nobel ist. Wir lesen, was er schrieb. Da ist er nicht nobel. Da ist er barbarisch, mörderisch, zynisch, kriegerisch. Da ist er ein Dämon des Krieges. Wir aber hassen den Krieg. Wir hassen den Krieg und die, die ihn verfechten. Wir hassen die, die ihn heraufgeführt haben. Jünger ist, als Urheber des Krieges, gewiß nicht allein. Aber er steht voran.

Er beschreibt im "Abenteuerlichen Herzen" jenes Schlemmergeschäft, das Menschenfleisch feilhält, beinahe nachbarlich. Er schildert ebenda eine Folterung fast geschwisterlich. Er schreibt im Essay "Ueber den Schmerz": "im März 1921 wohnte ich dem Zusammenstoß einer dreiköpfigen Maschinengewehrbedienung und einem Demonstrationszuge von vielleicht fünftausend Teilnehmern bei, der eine Minute nach dem Feuerbefehl spurlos von der Bildfläche verschwunden war". Dieser Anblick hatte etwas Zauberhaftes. Er rief jenes tiefe Gefühl der Heiterkeit hervor, von dem man bei der Entlarvung eines niederen Dämons unwiderstehlich ergriffen wird. Am gleichen Ort bejaht er auch eine Darstellung eines alten Geschichtsschreibers, die so lautet: "Was Wunder also, wenn ein Volk, hinter dessen Beschlüssen ein so schlagfertiges Heer steht, im Osten den Euphrat, im Westen den Ozean, im Süden die fetten Gefilde Libyens, im Norden die Donau und den Rhein zu seinen Grenzen, hat? Der Besitz, kann man mit Recht sagen, ist immer noch kleiner, als die Besitzer verdienen." Ferner schrieb er hier: "Hier liegt auch der Grund, aus dem die Alexanderschlacht einen königlicheren Eindruck erweckt als die napoleonische. Der große Gedanke bedarf, um In seiner Reinheit sichtbar zu werden, wie aus Erz gefügter Ordnungen." Sodann: "Wir haben hier einen jener Räume vor uns, in denen der Mensch den Untergang als ein totales Ereignis anerkennt, und die letzte Sorge besteht nicht darin, ihm zu entrinnen, sondern darin, daß es mit wehender Flagge geschieht",

Jünger sprichat einmal von "germanischer Unschuld". Es gibt keine germanische Unschuld, es gibt nur eine germanische Schuld. Sage keiner, daß jetzt genug von deutscher Schuld geredet sei. Davon ist nie genug gesprochen. Denn sie, ist da, und sie ist böse. Das Böse aber, das da ist, muß vernichtet werden. Jünger hat es vorbereitet. Seine Bücher hab en es vorbereitet. Folglich müssen seine Bücher aus der Welt geschafft werden. Nicht er. Diese Sätze gelten ja auch recht eigentlich weniger ihm als seinem Einfluß. Seine Bücher sollen geächtet werden. Das, was in ihnen geschrieben ist, soll in Acht und Bann getan werden: das Militaristische. Und in diesem ist alles andere enthalten.

Auch wir wollen, daß die Jungen deutschen Männer Helden seien. Wenn es sein müßte, stürben sie auch dafür. Wofür? Für den Geist eben, und nicht für die Doktrinen des Hasses, für die Hasser und für die technischen Ungeheuer, die die Hassenden erfunden haben. Jeder junge Arzt sei ein Held. Er kämpfe mit Mikroben und Protoplasmen. Jeder junge Lehrer sei ein Held. Er streite mit seiner eigenen Ungeduld und mit dem Aufruhr der bösen Regungen, die in seinen Kindern keimen wollen. Jeder junge Bauer sei ein Held. Er fechte mit der Erde, mit dem Wetter, mit Ueberschwemmung und Hagelschlag. Jeder junge deutsche Arbeiter sei ein Held. Er schlage sich mit der Umgebung herum, in die ihn das Geschick geworfen hat, und versuche, sich mutig und unbeirrt der geistigen Güter zu bemächtigen, damit er nicht länger ein Stiefkind sei. Deutschland möge das Land werden, worin es mehr gilt, sich selbst zu überwinden als einen andern. Wo es mehr gilt, die Malaria zu besiegen als einen Franzosen. Wo es mehr gilt, die Lüge auszurotten als Menschenleben.

Ein paar Intelligenzler beginnen Jünger zum "Friedensengel" zu machen. Sie gehen dabei bald gegen Jünger an, bald verteidigen sie ihn. Beides ist verfehlt. Jünger hat mit der Reinheit und Heiterkeit des Friedens nichts zu tun, weder positiv noch negativ. Er ist dem Kriegt verhaftet. Er hat uns alle dem Krieg verhaftet. Ich werde nie die Schaufenster von Buchhandlungen in Marburg an der Lahn, in Neustrelitz und in Ulm vergessen, wo - 1935 und 1937 - kein anderes Buch als Jüngers "In Stahlgewittern" ausgestellt war. Wer meint, auch in Homers "Illias" käme der Krieg vor, ja und wie, und was sei denn mit der Schildbeschreibung, dem sei entgegnet: Wann hat Homer gelebt? War er ein Deutscher? Er lebte vor Tausenden von Jahren. Er war kein Deutscher. Jünger aber lebt, und er ist ein Deutscher. Er ist Schuld daran, dass wir beinahe - wir und die andern, die uns umgeben - gestorben sind. Er schweige. Er schweige fortan. Er bemühe sich, seinen Traktat über den "Frieden", der im Land umgeht, zurückzuziehen. Wenn, Jünger über den Frieden schreibt, sei es 1943 oder 1946, gewinnt der. Frieden nichts. Nur, daß der Krieg gewinnt. Denn denen, die Jüngers "Frieden" lesen, fällt ein, daß er ja der Mann des Krieges ist. Und sie lesen seine Bücher des Krieges. Und er steckt sie abermals an, sie, die noch voll der geistigen Schwären sind, voll der Schwären ihrer Liebe zum Krieg.

In tausend Jahren, wenn der Krieg eine Sage ist, mag ein Bübchen seine Großmutter bitten, ihm ein Märchen zu erzählen. Dann berichte die Alte vom "Wäldchen 125" Jüngers. Dann sind wir gefeit. Jetzt sind wir elend und gefährdet und verwundet. Jetzt müssen wir uns mit Zähnen und Worten gegen die Seher des Elends, der Gefahr und der Wunden wehren. Hier sind Analyse und literarisches Kalkül fehl am Platz, ja sie sind verbrecherisch. Hier gibt es nur ein Nein.

Jünger behauptete im Vorwort zu "Blätter und Steine": "Von der totalen Mobilmachung läßt sich sagen, daß sie wie einige andere meiner Arbeiten bereits in das Allgemeinbewußtsein übergegangen ist." Weiß Gott, das war so. Und weil Jünger sie ins Bewusstsein aller pflanzte, weil Jünger unser aller Bewusstsein mit ihr düngte, geriet sie in die Wirklichkeit von uns allen, in unsere schaurige und außermenschliche Wirklichkeit, in unsere also auch von Jünger schaurig und außermenschlich gemachte Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit war aber auch deshalb besonders infernalisch, ja so recht eine Spiegelung des Infernos, weil wir sie nicht nur selbst lebten. Wir übertrugen sie auf die ganze Erde, und die Erde war unschuldig. Oder doch nur schuldig, wie es die Erde immer ist, diese Stätte von Kämpfen zwischen Schwäche und Ueberzeugung, zwischen Güte und Willkür, zwischen Wahrheit und Schwäche.

Die Welt ist immer mehr oder weniger gut oder böse. Sie strebt stets zum Guten, aber das Böse stellt sich stets aufs neue zwischen die Welt und das Gute. Das ist nicht anders, das wird nie anders sein. Aber dann und wann, wenn die Zeit gekommen ist - wann diese Zeit kommt, weiß kein Irdischer - addiert sich alles Böse der Vergangenheit, das Böse der Vergangenheit multipliziert sich mit dem Bösen der Gegenwart, das überall nur auf diese Vereinigung wartet, und dann ... dann steht ein Gottseibeiuns auf und verschlingt die Erde, mit den Frauen und Männern und Kindern, die auf ihr sind. Besonders mit den Frauen und Kindern; und die, die beim Untergang der Frauen und Kinder zumal helfen, sind eben Helfershelfer des Vernichters. Es ist nicht anders. Wer aber geboren wurde, ein großer Dichter zu sein, muß, indem er dichtet, ein Widersacher des Vernichters sein. Ist er das nicht, hat er selbst vom Grünspan der Hölle an sich. Er klebt und stinkt. Er kann sich auch nicht reinwaschen. Der Dreck der Hölle geht nicht ab.

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